Predigt Pfarrer Michael Solle während der Sommerpredigtreihe 2016

Weifenbach, 6.8.2016, Biedenkopf, 7.8.2016

Thema: Philipp Melanchthon –
gelehrt und auf Ausgleich bedacht

Liebe Gemeinde!
Denkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben. Ihr Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach. So steht es im Hebräerbrief. Ein Lehrer unserer Kirche war Philipp Melanchthon. Er war ein enger Mitarbeiter von Martin Luther, auch ein Freund. Er hat es im allgemeinen Bewusstsein nie geschafft, aus dem Schatten Luthers herauszutreten. Es gibt von ihm nicht so spektakuläre Dinge zu erzählen wie das Gewittergelübde, den Thesenanschlag, den Reichstag in Worms, die Entführung auf die Wartburg usw. Und doch wäre Luther mit Sicherheit nicht so erfolgreich gewesen ohne diesen Melanchthon. Ein mittelalterlicher Denker sagte einmal: Wir sind wie Zwerge, sitzend auf den Schultern von Riesen. Wir sehen folglich mehr als die Alten und wir sehen weiter, aber dieses geschieht weder durch die Schärfe unseres Blicks noch durch die Höhe unseres Wuchses, sondern allein aus dem Grund, dass sie uns tragen und aufheben zu ihrer gigantischen Höhe (Bohren, Vom Heiligen Geist, S. 59). Lasst uns daher unsere Lehrer, auch unsere Mütter und Väter im Glauben nicht vergessen, sondern ihnen immer dankbar sein. Sie sind die Riesen, auf deren Schultern wir Zwerge weiter sehen können.
Wer war Philipp Melanchthon? 1497 wurde er noch mit dem Namen Philipp Schwarzerd in Bretten in Baden geboren. Als Elfjähriger musste er erleben, wie sein Vater und sein Großvater in einem Jahr starben. Kurz darauf gab ihm Johannes Reuchlin, der der führende Humanist seiner Zeit war, den Namen Melanchthon. Das ist die griechische Übersetzung von Schwarzerd. Latein und griechisch fielen dem begabten Schüler sehr leicht. Er schloss die Schule schon früh ab und wurde mit nur 13 Jahren Student in Heidelberg und dann in Tübingen. Im Jahr 1518, also kurz nach dem Thesenanschlag, wurde Melanchthon Professor für Griechisch an der neugegründeten Universität in Wittenberg. Gleichzeitig studierte er bei Luther Theologie und wurde von ihm für die evangelische Sache gewonnen. Als Luther sich auf der Wartburg verstecken musste, war es Melanchthon, der in Wittenberg die Sache der Reformation weitertragen musste. Doch das überforderte ihn anscheinend. Darum kehrte Luther zurück und nahm die Sache wieder in die Hand. Melanchthons Stärke lag woanders, nämlich in seiner Gelehrsamkeit. Er schrieb bereits im Jahr 1521 die erste evangelische Glaubenslehre. Er lehrte den älteren Luther auch vieles über die Sprachen und gab ihm den Anstoß für die Bibelübersetzung beteiligt. Er schrieb eine wichtige Schrift, wie die Pfarrer im neuen evangelischen Glauben unterrichtet werden sollten. Als 1530 der Reichstag von Augsburg einberufen wurde, arbeitete Melanchthon das Augsburger Bekenntnis aus, von dem wir vorhin einen kleinen Teil gehört haben, um damit vor dem Kaiser und den Altgläubigen die Rechtmäßigkeit der evangelischen Lehre zu beweisen. Selbst katholische Bischöfe waren beeindruckt. Dennoch nahmen nur die Evangelischen dieses Bekenntnis an. Mit dieser Schrift Melanchthons wurden die Evangelischen später im Jahr 1555 wieder zu rechtmäßigen Bürgern des Deutschen Reiches. Auf sie werden auch heute noch die meisten evangelischen Pfarrer ordiniert. Sie steht in Auszügen hinten in unserem Gesangbuch. Melanchthon kümmerte sich auch um die Neuordnung der Schulen. So wie die Reformation Wert darauf legte, dass jeder die Bibel lesen konnte und über seinen Glauben Bescheid wissen sollte, so sollte jeder auch eine Möglichkeit zur Bildung haben. Melanchthon sorgte dafür, dass der evangelische Glauben sich auseinandersetzen musste mit der Wissenschaft seiner Zeit. Er war damit ein Vater der akademischen Theologie. Am 19.4.1560 verstarb er in Wittenberg und wurde gegenüber von Martin Luther in jener Schlosskirche in Wittenberg beigesetzt, an deren Tür die berühmten 95 Thesen angeschlagen waren. Auf seinem Schreibtisch fand man nach seinem Tod einen Briefabschnitt, auf dem stand: „Du wirst von der Sünde los werden, von Sorgen und von der Wut der Theologen befreit. Du kommst zum Licht, du wirst Gott schauen und seinen Sohn, du wirst die wunderbaren Geheimnisse erkennen, die du in diesem Leben nicht begreifen konntest.“ Es ist ein ergreifendes Zeugnis letzten Sehnens nach Gott, das auch wir uns im Angesicht des Todes zu eigen machen könnten.
Befreit werden wollte Melanchthon von der Wut der Theologen. Er war ein feinfühliger, intellektueller und kompromissbereiter Denker unter den Reformatoren. Ganz anders Martin Luther, dessen „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“ auf dem Wormser Reichstag schon typisch war. Die Gaben und Temperamente der beiden waren sehr verschieden, aber ganz sicher war das sehr gut. Und das gilt auch für uns heute. Es ist gut, wenn wir viele verschiedene Gaben einbringen können für das Reich Gottes, aber auch in unsere Ehen, Familien und Freundschaften. Melanchthon hätte die Reformation nicht so entschieden vorangetrieben wie Luther, aber Luther alleine hätte die vielen Verhandlungen, die Visitationen der Gemeinden, die Ausbildung neuer Pfarrer und vieles mehr ohne den Freund mit Sicherheit nicht bewältigen können. Etwas ironisch sagte Luther, als er das Augsburger Bekenntnis las, dass er selbst nicht so leise und sanft auftreten könne (Brief vom 15.5.1530). Es war sicher keine ganz einfache Freundschaft. Luther musste seinen Freund oft vor Verzagtheit warnen und ihm Mut zusprechen. Nach Luthers Tod geriet Melanchthon oft zwischen die Mühlen verschiedener Theologen. Den harten Lutheranern galt er als zu nachgiebig gegenüber den reformierten Calvinisten und Katholiken, ähnlich vielleicht wie Martin Bucer, von dem wir vor zwei Wochen hörten. So war sein Seufzen über die Wut der Theologen, von der erlöst zu werden hoffte, durchaus verständlich.
Liebe Gemeinde, was können wir von Philipp Melanchthon für uns als Kirche, als einzelne Christen mitnehmen? Da ist zum einen die Bereitschaft, sich auch im Nachdenken auf die Umwelt einzulassen, ohne dabei seinen christlichen Glauben aufzugeben. Melanchthon hat versucht den Glauben gegenüber auch dem weltlichen Denken seiner Zeit zu verantworten. Es gab und gibt immer die Versuchung, sich in ein christliches Schneckenhaus zurückzuziehen, in dem wir vermeintlich alle die gleiche Überzeugung haben. Es ist ja viel leichter so. Wir haben aber die Aufgabe, unseren Glauben vor den Menschen zu verantworten und dabei ernst zu nehmen, was sie für Überzeugungen und Fragen haben. Und wir haben die Verantwortung, uns einzubringen in alle gesellschaftlichen Aufgaben, soweit wir es vermögen. Melanchthon hat dies z.B. im Bereich des Schulwesens getan. Das zweite, was wir von ihm lernen können, ist seine Fähigkeit zu Kompromissen. Das Augsburger Bekenntnis war so ein Kompromiss, in dem er die Gemeinsamkeiten mit der katholischen Kirche betonte, ohne den evangelischen Glauben zu verraten. In der heutigen Zeit nehmen die Tendenzen zu, lieber wieder eindeutiger zu werden, vielleicht auch holzschnittartig die eigene Position zu betonen und andere damit auszugrenzen und abzuwerten. Wir müssen uns nur einmal die Zunahme der Populisten in Europa ansehen. Wir können aber in unserer heutigen Welt nicht in guter Weise leben, wenn wir nicht auf Ausgleich bedacht sind. Dazu zählt ganz bestimmt auch das Gespräch mit dem Islam. Dass andererseits unsere eigenen Positionen trotzdem deutlich werden müssen, dafür ist Luther sicherlich die geeignetere Person in der Reformation.
Denkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben. Ihr Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach. Liebe Gemeinde, lasst uns in dieser Zeit das Erbe der Reformation bewahren und darauf achten, wie sie uns einen guten Weg in die Zukunft weisen kann. Dann wird Gottes Segen mit uns sein.
Amen.

13 August 2016